Der Sommer 2021 war, vom Wetter her betrachtet, in Süddeutschland und fast im gesamten Alpenraum ziemlich wechselhaft. Heiße Phasen wurden von feucht-kalten Tagen, teils mit Starkregen und örtlichen Überschwemmungen abgelöst. Doch gerade in den Bergen muss dass Wetter für eine Alpenüberquerung mit dem Fahrrad mit hohen Pässen zumindest halbwegs stabil sein. Hinzu kamen in manchen Regionen pandemiebedingte Reisebeschränkungen, sodass eine langfristige Tourenplanung schwierig war.
Nach Wochen des Wartens und fast schon am Ende des Sommers versprach der Wetterbericht für ein paar Tage stabileres Wetter mit Wärme und Sonnenschein, bevor die nächste Kaltfront durchziehen würde. So konnte es endlich losgehen, doch ein kurzfristig angekündigter Bahnstreik ließ selbst die mittlerweile dritte oder vierte Routenplanung obsolet erscheinen. Viele Stunden der Planung und der Recherche waren umsonst gewesen. Ich nahm’s mittlerweile mit Humor und fuhr statt der ursprünglich geplanten Strecke in der Schweiz einfach eine Transalp mit meinem neuen Gravelbike. Um komplett unabhängig von Bus, Bahn oder dem PKW zu sein, ging`s schließlich vor der eigenen Haustür los. Mein Ziel war ab sofort nur noch, einmal den Alpenhauptkamm auf einer möglichst schönen Strecke in einer großen Runde zweimal zu überqueren und spätestens nach ein paar Tagen wieder zurück in München zu sein. Würde das klappen, noch dazu in der Urlaubszeit mit viel Tourismus? Ich liess mich überraschen und packte Zelt, Schlafsack und Isomatte ein, um möglichst autark unterwegs zu sein, denn eine Prise Abenteuer wollte ich auch erleben und meine teils neue Ausrüstung einem richtigen Härtetest unterziehen. Was ich in nur vier Tagen erlebt habe, das lest ihr hier, oder Ihr seht Euch die Videos zur Tour an!
Nach dem Start bei strahlendem Wetter an einem Wochentag fuhr ich also los, die neue Route hatte ich mir noch in der letzten Nacht aufs Smartphone geladen und vorsorglich gleich mehrere Varianten für die Rückfahrt eingeplant. Entspannt folgte ich zunächst der Bundesstraße Richtung Wolfratshausen. Zumeist auf Radwegen und ein paar Schotterabschnitten ging’s schön durchs Grüne zum Kochel- und Walchensee. Der erste nennenswerte Anstieg war die Kesselringstraße hinauf zum Walchensee. Doch nicht die moderate Steigung oder die Sommerhitze waren anstrengend, eher war es der dichte Verkehr und die Touristenmassen am Ufer des Walchensees. So gerne ich an dem heißen Tag eine Runde geschwommen wäre, entschied ich mich nach einer kurzen Pause weiter Richtung Mittenwald zu fahren. Der Radweg war wunderschön und endlich war auch weniger los, bis ich schließlich im Zentrum von Mittenwald die erste längere Pause des Tages in einem Café einlegte.
Ab jetzt wurde die Strecke landschaftlich noch besser. Nach ein paar Kurven bergauf auf einer Nebenstraße im Wald öffnete sich der Blick und das breite Leutaschtal begann. Es war bereits Nachmittag geworden und das Lichtspiel mit dem saftigen Grün der Vegetation sowie den umliegenden, steil aufragenden, in der Sonne leuchtenden Felsflanken der Berge war einfach großartig. Auch der Verkehr hatte deutlich nachgelassen und zudem führten weite Abschnitte auf geschotterten Wirtschaftswegen verkehrsfrei durch das Tal. Eine ganze Weile traf ich nur andere Radfahrer oder Spaziergänger. Genau so stellt man sich einen Tag in den Bergen vor, die Hektik der ersten Stunden war komplett verflogen, die Sonne war mittlerweile angenehm warm und ich kam gut voran. Zum Ende des Tals führte die Straße wieder deutlich spürbar bergauf, bis der Buchensattel auf rund 1100 m Höhe erreicht war. Von hier bot sich ein schöner Blick auf das rund 500 hm tiefer gelegene Inntal. Die Sonne stand schon tiefer und die Abendstimmung war einfach schön. Mein Plan war es, einfach den nächstbesten Zeltplatz im Tal anzusteuern, denn ich wollte gut ausgeruht auf die morgige Etappe in Richtung Sölden und Timmelsjoch starten. Doch zuerst genoss ich die rasante Abfahrt hinunter nach Telfs und die Wärme des lauen Sommerabends.
Die Zeltplatzsuche gestaltete sich dann schwieriger als zunächst gedacht, denn die offiziellen Campingplätze waren voll oder sogar überfüllt. Kein Problem, dachte ich mir, für eine Nacht wird sich schon noch ein Platz finden. So nutzte ich den nächsten Brunnen an der Strecke, um mich nach dem schweißtreibenden Tag zu waschen, etwas zu essen und folgte dem gut ausgebauten Innradweg noch für ein paar Kilometer. Es dämmerte schon, als ich etwas abseits des Weges endlich einen geeigneten Platz für die Nacht fand. Müde aber glücklich baute ich mein Zelt auf und freute mich bereits auf die morgige Etappe.
Die Nacht war recht laut gewesen, denn auf einer nahen Schnellstraße wurde die ganze Nacht über mit schwerem Gerät die Straße erneuert und der Krach der nahen Autobahn ebbte auch spät Abends nur wenig ab. So kroch ich etwas müde schon in der ersten Morgendämmerung aus meinem Zelt. Die Sonne kam gerade erst über die Berge, ich hatte bereits gefrühstückt und das Zelt verpackt, als es schon weiter ging. Ich folgte dem bestens ausgeschilderten Innradweg bis Ötztal-Bahnhof. Hier kaufte ich noch etwas Essen für den Tag ein und gönnte mir in einem Café an der Straße ein zweites Frühstück. Ab jetzt würde es bis Sölden und dem Timmelsjoch nur noch bergauf gehen. Der Verkehr auf der Hauptstraße im Ötztal war an dem Tag enorm, doch zum Glück gibt es seit ein paar Jahren einen gut angelegten und beschilderten neuen Radweg bis Sölden. In weiten Teilen verläuft dieser auf kleinen Nebenstraßen oder auch auf Schotterstraßen und meist abseits der Hauptstraße. Das war ganz nach meinem Geschmack. Selbst mit einem breit bereifen Rennrad wären die Schotterabschnitte fahrbar, zumindest solange es nicht regnet.
Zwar ist die Gesamtstrecke bis Sölden etwas länger als auf der Hauptstraße und man überwindet auch ein paar zusätzliche Höhenmeter, doch dafür ist sie meist verkehrsfrei.
Die Streckenführung verläuft sehr abwechslungsreich entlang des Talboden, teils am Fluss entlang, teils am Fuße der Berghänge, in jedem Fall aber hügelig und aussichtsreich. Vor lauter Fotostopps verging die Zeit wie im Fluge und es war bereits Nachmittag, als ich in Sölden ankam. Hier wollte ich eigentlich auf dem Zeltplatz übernachten, doch der Rummel im Ort und der Verkehr waren extrem. Eine zweite Nacht mit wenig Schlaf wollte ich mir nicht antun, also entschied ich mich, noch heute über das Timmelsjoch nach Südtirol zu fahren. Der Grenzübergang zu Italien wird jedoch um 20 Uhr geschlossen und so musste ich zügig vorankommen, um rechtzeitig die Passhöhe zu erreichen.
So langsam merkte ich die Anstrengungen des heißen Tages und der zu kurzen letzten Nacht, doch die steilsten Abschnitte lagen noch vor mir. Hatte ich mir zu viel vorgenommen? Ich versuchte an etwas anderes zu denken und die umliegenden Berge und das schöne Panorama zu genießen. Der Verkehr hatte zum Glück bereits ab der Ortschaft Zwieselstein deutlich nachgelassen und die Abendsonne tauchte die umliegenden Berge in das typisch warme Licht eines ausgehenden Sommertages. Langsam aber stetig ging es bergauf, ein paar Kühe am Straßenrand glotzten mich neugierig an und um halb Acht hatte ich endlich die Passhöhe erreicht! Zu meiner Freude war ich fast allein, die letzten Tagestouristen fuhren mit dem Auto bergab und ich genoss für ein paar Minuten die Aussicht. Allerdings musste ich mich erneut beeilen, denn eine lange und steile Abfahrt hinunter nach St. Leonhard lag noch vor mir und ich wollte den dortigen Zeltplatz erreichen, möglichst bei Tageslicht und bevor die Rezeption schließen würde.
Die Sonne verschwand bereits hinter den Gipfeln und es wurde spürbar kälter, so dass ich mich warm einpackte und mich wieder in den Sattel schwang. Die Strecke ist landschaftlich klasse, noch dazu wenn fast kein Verkehr mehr ist und so liess ich es Rollen. Allerdings erforderten der teilweise schlechte, rissige und wellige Asphalt sowie die zahlreichen Serpentinen, Schlaglöcher und Haarnadelkurven die volle Konzentration. Es dämmerte immer mehr, ich schaltete mein Licht am Rad an und fuhr weiter bergab, bis ich schließlich mit dem allerletzten Rest von Tageslicht den Zeltplatz erreicht hatte. Was für ein genialer Tag!
Der nächste Tag begann wieder sehr bald. Doch diesmal hatte ich erholsam geschlafen und die heiße Dusche gestern Abend war eine Wohltat gewesen. Der Zeltplatz war bis auf den letzten Platz voll und so wollte ich dem Trubel im Waschhaus entgehen und früh starten. Ich packte meine Sachen aufs Rad und fuhr zum Supermarkt im Ort, um mich wieder mit Essen für den Tag einzudecken und einen Kaffee zu trinken. Der Wetterbericht hatte sich inzwischen erneut geändert. Jetzt sah es so aus, als würde das Wetter in den kommenden Tagen wieder wechselhaft werden, mit einzelnen Schauern und Gewittern, vor allem in den Bergen. Ich war happy, dass ich die letzten zwei Tage so lange Etappen absolviert hatte, denn im Gewitter wäre ich nicht freiwillig über das Timmelsjoch gefahren.
Einen Cappuccino und mehrere Süßteile später war ich startklar, heute ging es über den Jaufenpass nach Sterzing. Diesmal musste ich die normale Passstraße nehmen, doch der Verkehr war wieder ziemlich stark. Teilweise brausten ganze Motorradkolonnen an mir vorbei und hüllten mich in eine Abgaswolke. Nach ein paar Kilometern wurde es etwas ruhiger und so konnte ich die Landschaft wieder genießen, bis ich gegen Mittag die Passhöhe erreicht hatte. Hier war entsprechend viel los und so machte ich nur einen kurzen Fotostopp, bis es auf die flotte Abfahrt runter nach Sterzing ging. Kaum saß ich auf dem Rad, als es zu tröpfeln und hinter mir zu regnen begann. Wie aus dem Nichts hatte sich eine dunkle Wolke gebildet und auch die Quellwolken an den umliegenden Berggipfeln waren dunkler geworden. Was für ein gutes Timing, dachte ich mir und beeilte mich weiter bergab zu fahren. Schon nach ein paar Minuten war es zum Glück wieder trocken, doch es wurde zunehmend schwül-heiß, als ich nach einer knappen halben Stunde im Tal war. Sollte ich hier wirklich übernachten? Das war eigentlich mein Plan gewesen, doch der Wetterbericht sah für den kommenden Tag noch instabileres Wetter voraus, so dass ich mich entschied, lieber noch heute weiter zu fahren. Der Regenschauer hatte sich derweil verzogen und so fuhr ich nach einer ausgiebigen Pause weiter in Richtung Brenner.
Von Sterzing führt ein perfekt angelegter und asphaltierter Radweg bergauf bis zur Grenze nach Österreich. In Teilen verläuft er auf einer ehemaligen Bahntrasse, entsprechend moderat sind daher auch die Steigungen in diesem Bereich. Die Landschaft ist schön, der Verkehrslärm der Brenner-Autobahn und der Staatsstraße sind oft weit weg, sodass ich die Auffahrt genießen konnte. Die Ortschaft Brenner ist hingegen weniger reizvoll. Oben an der Passhöhe befindet sich ein riesiges Outlet-Shopping Center, es herrscht viel Verkehr, Bahngleise, eine Stromtrasse, die Autobahn und die Bundesstraße, alles quetscht sich in das enge Tal, so dass ich nur stoppte, meine Trinkflaschen an einem Brunnen nachfüllte und direkt weiter fuhr.
Ab jetzt muss man für einige Kilometer auf der Bundesstraße bergab fahren, bis man sie kurz hinter Matrei wieder verlassen kann. Auf der anderen Talseite führt die alte Römerstraße im ständigen Auf und Ab entlang der Berghänge bis zur Ortschaft Lans. Das ist zwar deutlich anstrengender als die Brenner-Bundesstraße, die flach oder sogar abfallend direkt bis Innsbruck führt, doch dafür herrscht hier weniger Verkehr. Die Sonne stand mal wieder tief und so beeilte ich mich, um das Inntal und einen Zeltplatz zu erreichen. Die Sonne war bereits untergegangen als ich die Rezeption erreichte und erneut hatte ich Glück, denn für ein Zelt gab es gerade noch einen freien Platz.
Am nächsten Morgen stand ich, genau wie die letzten Tage, sehr früh auf, denn heute sollte es so richtig heiß werden und am Nachmittag waren Gewitter angekündigt. Mein Plan war, zurück bis München fahren, je nach Route waren das rund 150 km und etliche Höhenmeter. Ich frühstückte im Zelt und genoss den ersten Kaffee des Tages ein paar Kilometer später in Wattens. Der Himmel war strahlend blau und die Luft bereits richtig warm.
Flott ging’s auf dem gut beschilderten Inn-Radweg in Richtung Kufstein dahin und ich entschied mich, für die anstrengendere, dafür aber für den Autoverkehr gesperrte Strecke durch die Berge, über Aschau, Pinegg, Valepp und vorbei am Spitzingsee zum Schliersee. Alternativ hätte ich über den Achensee fahren können, doch diese Variante bin ich bereits bei meiner MTB-Bikepacking-Tour zur Brenner Grenzkammstraße gefahren.
Bei Kramsach verlässt man den flachen Inn-Radweg und sogleich beginnt die erste längere Steigung hinauf nach Aschau. Dass an dem Tag Wochenende war, merkte ich schnell, denn in dieses schöne Tal entlang der Brandenburger Ache waren einige Radler und auch Autos unterwegs. Die Straße wurde immer schmaler, bis irgendwann der Asphalt endete und an einer Schranke der motorisierte Verkehr gestoppt wird. Endlich herrschte wieder Ruhe. Für ein paar Kilometer ging es fast flach und wunderschön auf einer Schotterstraße durch eine Schlucht und entlang des kleinen Flusses dahin, bis es kurz vor der Erzherzog-Johann-Klause, heute eine bewirtschaftete Hütte, steil bergauf geht. Der Schweiß floss bei mir in Strömen, doch die Landschaft und die schönen Ausblicke entschädigten für die Anstrengungen.
Nach der rund 18 km langen Schotterpassage begann ab Valepp wieder der Asphalt. Erneut ging es für ein paar Kilometer auf einer perfekt angelegten, schmalen und für den Verkehr gesperrten Straße bergauf bis zum Spitzingsee. Ab hier war es wieder vorbei mit der Ruhe. Massen von Wohnmobilen parkten am Seeufer und so fuhr ich direkt weiter über den Spitzingsattel in Richtung Schliersee. Nach einer schönen Abfahrt über das Josefsthal nach Neuhaus war dort endgültig Schluss mit der Ruhe. Dafür hatte das Wetter überraschend durchgehalten, sämtliche Quellwolken hatten sich wieder aufgelöst und die Nachmittagssonne strahlte heiß von einem blauen Himmel.
Ich erreichte den Schliersee und im Grunde wäre hier die Transalp beendet gewesen, doch das Wetter war zu schön um einfach in den Zug zu steigen und die Tour abrupt zu beenden. Deshalb entschied ich mich, die letzten 60 km bis nach München zurück zu radeln. Entlang des Baches Schlierach verläuft ein schöner Radweg Richtung Miesbach und Weyarn. Ab dort bin ich dem Münchner Wasserweg bis München gefolgt. Die Strecke verlief überwiegend schön durchs Grüne und fast komplett verkehrsfrei. Ich genoss den lauen Sommerabend und nach dem Trubel am Schliersee die erstaunliche Ruhe auf den kleinen Straßen und Wegen, während die Sonne immer tiefer sank. Die Temperatur war perfekt, die Anstrengungen der letzten Tage waren vergessen und gefühlt hätte ich noch lange so entspannt weiterfahren können. Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichte ich schließlich das Ortsschild von München. Was für ein Timing!
Auch wenn die Tour ganz anders lief als ursprünglich geplant, so war ich am Ende begeistert von vier wunderbaren Tage in den Bergen. Das Rad und meine Ausrüstung haben sich jedenfalls bewährt und in Gedanken träume ich bereits von einer Fortsetzung im nächsten Jahr …
Hier gibt's die GPS-Daten zur Tour in komoot als kostenlosen Download. Start und Ziel sind mitten in München am Rathaus. Unterkünfte gibt es auf der Strecke genug, egal ob Campingplatz oder feste Unterkunft. In der Hauptsaison im Sommer sollte man allerdings vorbuchen. Das ideale Rad ist ein Gravelbike oder Allroadbike mit einer bergtauglichen Übersetzung und mindestens 37 mm breiten Reifen, da insgesamt rund 80 km der Strecke auf Schotterwegen verlaufen.
Habt Ihr Vorschläge für eine schöne Strecke über die Alpen abseits der Hauptrouten?
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Wer jetzt Lust auf mehr Touren und Videos zum Thema Bikepacking bekommen hat, wird hier in unserer Abenteuerliste fündig!